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NACHT TRAUM REISE

Bellermont / Unter Stein

Tageszeitung, 21.06.2016
„Bald bin ich von hier“

   

„Stücke von und mit Flüchtlingen sind die Stücke zur Stunde. Vieles davon, was auf einer Theaterbühne landet, ist jedoch mehr dem Bedürfnis geschuldet, rasch zu reagieren als der Fähigkeit des Theaters, in tiefere emotionale und intellektuelle Schichten vorzustoßen. Der gute Wille allein macht halt noch kein Theater, weshalb Regisseure immer häufiger mit der Frage konfrontiert sind: Machst Du noch Kunst oder schon Sozialarbeit? Und was bringt es den Flüchtlingen, die doch nur hoffnungs- und verzweiflungsvoll auf eine Aufenthaltsgenehmigung warten, auf eine Bühne gestellt zu werden? Machen wir Zuschauer uns nicht zu voyeuristischen Elendsparasiten, wenn wir uns ihre Geschichten erzählen lassen und uns dabei auf der Seite der Guten wähnen dürfen?

Solche Fragen brachen mit Wucht in der Projektgruppe Fabrik Azzurro auf, während sie in Begegnungen, Gesprächen und Workshops in der Flüchtlingseinrichtung „Es Casa Lavoratore“ Meran mit Asylbewerbern das Stück „I am Europe“ erarbeiteten.
„Es war“ so Regisseur Torsten Schilling, „auch für uns eine Gratwanderung. Wie geht man mit diesen Menschen um, wie gehen sie miteinander um, wissen sie, was Theater ist, dürfen wir sie wie Kinder behandeln, die bei einem Fest nette Geschichten aus ihrer Heimat aufsagen? Und es war auch rein logistisch eine extreme Herausforderung, weil die Mitspieler immer wieder wechselten.“
Das Ergebnis dieser halbjährigen, in Zusammenarbeit mit dem Verein Volontarius, der Gemeinde Meran und dem Land Südtirol auf die Beine gestellten Auseinandersetzung ist am Wochenende dreimal im Kulturzentrum Mairania auf die Bühne gekommen – mit durchschlagendem Erfolg beim Publikum. Das Haus war drei Mal komplett voll. Niemand hatte so viel Interesse erwartet.
Schillings Ziel war es, die Menschen als Menschen und nicht als Flüchtlinge in den Vordergrund zu stellen. Aber wie macht man das, wenn allein die sprachliche Hürden schier unüberwindlich sind? Lässt man sie ihre Geschichten erzählen, die sie doch hinter sich lassen und nicht mehr daran erinnert werden wollen? Ursprünglich war genau das der Plan, aber das funktionierte nicht, weil die meisten große Bedenken hatten, ihre Geschichten auf einer Bühne auszubreiten. Schlussendlich hat Schilling den einzig richtigen, weil ästhetisch sinnvollen Weg eingeschlagen, indem er die Geschichten der Flüchtlinge in Fragmente aus verschiedenen Theatertexten spiegelt und sie von Schauspielern spielen lässt. Auf der Bühne stehen Christina Khuen, Johanna Porcheddu, Jordi Beltramo, Vincent Povic, Yankuba Kanyi, Ebrima Taban und Tamash Khan.

Inszeniert hat Schilling „I am Europe“ im Kulturzentrum Mairania – ursprünglich war der Marconi Park Meran geplant – indem er das Gebäude wie eine Homerische Irrfahrt bespielen ließ. Ein zerlumpter Flüchtlingschor (Ausstattung Zita Pichler und Kerstin Kahl) oder eine Schar Vogelscheuchen, die eben diesen Flüchtlingschor verscheuchen will, empfängt das Publikum. Danach geht es durch Räume, Geschichten und Sprachen. Gespielt wird in Deutsch, Italienisch, Englisch und Tunesisch. Wie immer setzt Schilling viel Musik (Omar El Afrah) und choreografische Elemente (Martina Marini) ein und macht damit ganz entschieden einen poetischen, tänzelnden bis clownesken Bilderbogen aus der Geschichtencollage. Ein berührend unmittelbares Bild findet Marini etwa für die Flucht über das Meer, wenn sie die Gruppe Plastikkanister mit Wasser schwenken lässt.
Es ist von Fluchtgründen die Rede, aber auch von Flüchtlingsströmen, von Flüchtlingsmassen, die Europa überfluten, von Kirchtürmen, die Moscheen weichen müssen, von Muezzins, die unsere Kirchenglocken übertönen, von Restaurantbetreibern, die ihre Lizenz verlieren, weil sie Flüchtlinge beschäftigen, von Europa und seinen obersten Vertretern die mit Menschen spielen und ein zynisches Politgewäsch anstimmen und es ist von Zombies die Rede, die aus den Gräbern von 1945 wieder auferstehen und von Europa bereitwillig wieder angehört werden. Was kann Theater dagegen tun? Am besten keine Antworten geben und stattdessen neugierige Annäherungen versuchen. Den Rest erledigt hoffentlich die Zeit. „Bald bin ich von hier“ sagt ein tunesischer Flüchtling.

Heinrich Schwazer

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